Gegen den Rollback im Netz – Digitale Gewalt geht uns alle an!

Der Bundesverband Frauenberatung und Frauennotrufe (bff) ruft zusammen mit anderen Akteur*innen gegen digitale Gewalt auf:

Wir, die Unterzeichner_innen dieses Aufrufs, setzen uns schon seit langem gegen Hate Speech und digitale Gewalt ein. Als politisch Aktive weisen wir dabei unermüdlich immer wieder auf die geschlechtsspezifischen Aspekte dieser Angriffe hin. In den letzten Monaten und aktuell wird verstärkt über verbale sexualisierte Gewalt im Netz gegen politisch aktive Frauen diskutiert. Zu wenig Beachtung finden aber Vorfälle im privaten Bereich, obwohl gerade der Praxisalltag zuständiger Beratungsstellen einen deutlichen Zuwachs digitaler Gewalt verzeichnet und immer mehr Betroffene dringend Hilfe benötigen.

Digitale Gewalt ist real. Wir benennen die im Internet stattfindende und darüber ausgeübte Gewalt klar und deutlich als das, was sie ist, statt sie als „Internet-Empörungskultur“ oder „andere Meinungen“ wegzuwischen.

Digitale Gewalt und Hate Speech sind ein Angriff auf die psychische und körperliche Unversehrtheit jeder einzelnen betroffenen Person. Vor allem Frauen sind derzeit Zielscheibe dieses Hasses. Wenn ganze Personengruppen in ihrer Teilnahme an gesellschaftlichen Debatten und Entwicklungen eingeschränkt werden, handelt es sich aber auch um einen Angriff auf die Meinungsfreiheit unserer Gesellschaft insgesamt.

Wirken bei den betroffenen Personen mehrere Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit oder Behindertenfeindlichkeit zusammen, sind die Attacken im Netz meist umso heftiger und finden umso häufiger statt. Hate Speech zielt auch darauf ab, Frauen, insbesondere Schwarze Frauen und Frauen of Color sowie nicht-binäre, trans und inter Personen, aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.

Digitale Gewalt kommt häufig aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen. Ob in Form von Hasskommentaren, Doxing, Online-Stalking oder unerlaubt verbreiteten Nacktbildern: auf diese Weise werden immer bestehende Gewaltformen und -dynamiken fortgesetzt oder ergänzt. Damit verstärkt das Internet als Infrastruktur bereits in unserer Gesellschaft vorhandene diskriminierende Auffassungen und Haltungen. Diese Entwicklung führt schließlich zu einem gesellschaftlichen Rollback und ist eine Gefahr für die Demokratie.

Dem Kampf gegen Hate Speech und digitale Gewalt haben sich gerade in den letzten Jahren immer mehr Organisationen, Aktive und Initiativen verschrieben. Wir begrüßen das! Doch jetzt ist es dringend an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen: Digitale Gewalt und Hate Speech sind gesamtgesellschaftliche Probleme, deswegen müssen wir die Bekämpfung dieser Gewalt gegen Frauen zum Anliegen aller machen!

Als Expert_innen ist uns bewusst, dass digitale Gewalt und Hate Speech komplexe Problemfelder sind. Unsere folgenden Forderungen sind insofern noch lange nicht vollständig, aber sie sind ein Anfang und ein Aufruf, endlich aktiv etwas zu ändern!

Wir fordern:

1.Problembewusstsein schaffen!

  • Wir fordern eine öffentliche Debatte, die die geschlechtsspezifischen Aspekte von digitaler Gewalt und Hate Speech zum Schwerpunkt hat und die Verwobenheit mit anderen Diskriminierungsformen wie z.B. Rassismus, Antisemitismus oder Behindertenfeindlichkeit klar benennt
  • Dazu braucht es reichweitenstarke Awarenesskampagnen durch öffentliche Institutionen und politische Entscheidungsträger_innen, die digitale Gewalt und Hate Speech immer in bestehende Gewaltformen und Machtverhältnisse einbetten
  • Die Kampagnen sollen für die verschiedenen Formen digitaler Gewalt sensibilisieren, Betroffenen vermitteln, wo sie Hilfe erhalten und Nicht-Betroffenen erklären, wie sie unterstützen können

2. Strukturen schaffen, um Strafverfolgung durchzusetzen!

  • Wir fordern die Einrichtung von Schwerpunkstaatsanwaltschaften zu digitaler Gewalt und Hate Speech
  • Strafverfolgungsbehörden und Gerichte müssen personell und technisch so ausgestattet und ausgebildet werden, dass sie Strafrechtsverstöße im Netz den Bedürfnissen der Betroffenen angemessen und zeitnah bearbeiten können
  • Dafür müssen auch die Anzeigemöglichkeiten und zivilrechtlichen Schritte für Betroffene bekannter gemacht werden, sowie die Hürden der Rechtsdurchsetzung in den Blick genommen und abgebaut werden
  • Polizei und Justiz müssen außerdem über die Angebote der Informations- und Beratungsstellen zu digitaler Gewalt und Hate Speech informiert sein, um an diese verweisen zu können

3. Bestehende Informations- und Beratungsstellen fördern und ausbauen!

  • Es besteht bereits ein breites Netz an Informations- und Beratungsstellen, die zu geschlechtsspezifischer Gewalt arbeiten und dabei auch Betroffenen von digitaler Gewalt und Hate Speech helfen
  • Diese Stellen müssen unabhängig arbeiten können und Betroffenen kosten- und barrierefrei zur Verfügung stehen
  • Hierfür muss die Finanzierung der Informations- und Beratungsstellen langfristig und nachhaltig gewährleistet sein
  • Die zuständigen Berater_innen müssen zu den verschiedenen Formen digitaler Gewalt und ihrer Konsequenzen aus- und weitergebildet werden sowie die Möglichkeit haben, sich technisch fortzubilden
  • Social-Media-Dienstanbieter müssen noch stärker in die Pflicht genommen werden, indem sie auch Kosten für das umfassende Beratungsangebot tragen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Informations- und Beratungsstellen respektieren

4. Forschung zu geschlechtsspezifischer Gewalt aktualisieren und ausweiten!

  • Beratungsstellen sehen bereits im Praxisalltag das wachsende Ausmaß von digitaler Gewalt und Hate Speech
  • Um Betroffene noch besser zu unterstützen sowie präventive Aufklärungsmaßnahmen entwickeln zu können, muss die Arbeit der Beratungsstellen und zivilgesellschaftlicher Initiativen unbedingt durch konkrete Daten aus Deutschland zu Häufigkeit, Betroffenheit, unterschiedlichen Gewaltformen etc. unterfüttert werden
  • Wir brauchen hierzu z.B. ein dringendes Update der repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland aus dem Jahr 2004, denn der Studie fehlen wichtige Informationen über geschlechtsspezifische digitale Gewalt
  • Außerdem soll die Polizei geschlechtsspezifische Statistiken zu digitaler Gewalt führen

Die Unterzeichner_innen:
Renate Künast, MdB Bündnis 90 / Die Grünen
Anne Wizorek, Autorin, Aktivistin, #aufschrei
Sawsan Chebli, SPD, Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales
Christina Dinar, Center for Internet and Human Rights (CIHR)
Dr. Nadine Dinig, Anwältin
Barbara Djassi & Hanna Gleiß, Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech
Anke Domscheit-Berg, MdB Die Linke, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag
Dr. Laura Dornheim, Sprecherin AG Digitales und Netzpolitik B90 / Die Grünen Berlin
Kübra Gümüsay, Autorin und Aktivistin
Katja Grieger & Anna Hartmann, Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V.
Anna-Lena von Hodenberg, HateAid
Sina Laubenstein, No Hate Speech Movement
Petra Pau, MdB Die Linke, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Anne Roth, Netz-Aktivistin und Referentin für Netzpolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag
Claudia Roth, MdB Bündnis 90 / Die Grünen, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Francesca Schmidt, Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung
Jasna Strick, Autorin, Aktivistin, #aufschrei
Konstantina Vassiliou-Enz, Neue deutsche Medienmacher*innen
Prof. Dr. Maria Wersig, Hochschullehrerin, Präsidentin Deutscher Juristinnenbund e.V.
Amina Yousaf, stellvertretenden SPD-Bezirksvorsitzende Hannover

Der Aufruf kann unter www.netzohnegewalt.org gelesen und geteilt werden. #NetzOhneGewalt

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